Text + Grafiken: Hans-G. Dierks, Fotos: Dr. E. Gottschalk
Wählen wir Stapel als fiktiven Mittelpunkt, dann kann der kundige Naturfreund in einem Umkreis von zwei Kilometern Kraniche, Rothirsche, Damwild, Blaukehlchen, Wolfsspuren, Uhus, Seeadler, Kolkraben, Fischotter und mit etwas Glück auch eine Kornweihe oder einen Raubwürger hören, sehen oder an den Spuren erkennen. Ein derartiges Panoptikum verschiedenster Tiere in Stapelholm war vor 30 bis 40 Jahren undenkbar – in den kühnsten Tagträumen einfach nicht vorstellbar. Heute springen überall Eichhörnchen in den Dörfern herum, der Grünspecht lacht am Ortsrand und die Fransenfledermaus (als eine von acht Arten) ist nachts an vielen Stellen der ETS-Region akustisch leicht nachweisbar. Nur das vermehrungsstarke Rebhuhn, seit Anbeginn des Ackerbaus bei uns in der Region vorkommend, ist verschwunden; trotz der legendären Kleinteiligkeit der Stapelholmer Ackerlandschaft, trotz der 500 km Knicks und der vielen Wegrändern ist es still und heimlich und damit fast unbemerkt aus der Landschaft verschwunden.
Die Henne hat das Bauchgefieder abgespreizt, damit die Küken Wärme bei dem Altvogel „tanken“ können. Nässe und Kälte sind tödlich für den Nachwuchs; deshalb kommt es auch zu den stark fluktuierenden Bestands-/ Abschusszahlen in Grafik 1.
Die Extinktion dieses ehemals stark präsenten Charaktervogels der Geest ist aber kein Alleinstellungsmerkmal Stapelholms, sondern betrifft ganz Schleswig-Holstein und darüber hinaus auch die übrigen Bundesländer. Das Rebhuhn hat offensichtlich keine lautstarke Lobby (wie z.B. der Wachtelkönig) und ist deshalb auch für die Medien bis dato nicht wirklich interessant. Gleichwohl gibt es auf der universitären und privaten Ebene eine Reihe von Initiativen, um dem Rebhuhn zu helfen. Doch von durchgreifender Reanimation des vorhandenen minimalen Restbestandes an Vögeln sind wir meilenweit entfernt. Warum ist es so schwer, dem ehemaligen „Allerweltsvogel“ den Weg in eine bestandserhaltende Zukunft zu bahnen?
Wie eine Tierart ausstirbt
Es ist gut dokumentiert, dass in Schleswig-Holstein der Rückgang der Rebhühner, Feldlerchen und Wachteln schon in der Nachkriegszeit eingeläutet wurde. Die Umstellung von Zugpferden auf Traktoren, der Einsatz von Agrochemikalien und Kunstdünger, die ungeheure Ertragssteigerung, der Rückzug vom Kartoffel- und Rübenanbau, der Wegfall von Stoppelfeldern usw. zerstörten die Rebhuhn-Lebensräume im ganzen Land. Die Jagdstatistik zeigt deutlich, dass die Auslöschung der Rebhuhn-Biotope schon in den 1980er Jahren – also noch vor dem großflächigen Maisanbau bei uns – weitgehend abgeschlossen war.
Niemand wollte diese Lebensraumvernichtung; sie hat sich beim Konzentrations- und Rationalisierungsprozess in der Landwirtschaft als Nebeneffekt ergeben. Konventionell arbeitende Landwirte sind auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene in scharfem Wettbewerb – und das Rebhuhn ist u.a. das Opfer dieser Entwicklung. Entscheidend in diesem Geschehen ist als einer der Faktoren die Reduktion der Insektenvielfalt auf dem Acker zu beklagen; Insekten dienten den Rebhuhn-Küken in der Vergangenheit als unverzichtbare Eiweiß-quelle. Insektensterben assoziieren wir heute gerne mit (Wild)Bienen und Schmetterlingen. Insektensterben hat aber auf dem Acker bei den Laufkäfern und Spinnen schon vor 70 Jahren massiv begonnen. Bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts gehörten Kartoffel- und Rübenfelder zu jeder Feldflur in Stapelholm; Roggen-, Gerste- und Haferfelder bestimmten das Bild der Landschaft. Die Ernte ohne Mähdrescher hinterließ die klassischen Stoppelfelder und damit auch noch Nahrung für die letzten überlebenden Rebhühner. Ab den 1990er Jahren begann der Mais-Boom, die konventionellen Feldfrüchte verschwanden und die ertragreiche Maispflanze dominiert bis heute die Ackerflächen auf der Geest. Dem Siegeszug der Maispflanze fielen auch die zigtausende Hektar Flächenstilllegung in S-H zum Opfer – und damit Blühflächen, Insektenbiotope und Rückzugsräume für die Rebhühner.
Rebhühner nachweisen
Ende Februar/Anfang März 2020 war ich auf der Geest zwischen Norderstapel/Twieberg und Drage jeweils bei ruhigem Wetter in der Stunde vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang im Gelände, um mithilfe einer Klang-Attrappe den evtl. noch verbliebenen Rebhühnern ihren Balzruf zu präsentieren. An 30 Stellen wurde in der Ackerlandschaft Station gemacht und für jeweils fünf Minuten (mit Horchpausen) die Gegend beschallt. Das Ergebnis war niederschmetternd: Kein Hahn rief zurück, keine Rebhühner wurden im Gelände vorgefunden. Aus Erfde wurden zeitgleich ebenfalls keine Rebhühner gemeldet, auch keine aus Bargen, Scheppern und Tielen.
Was können wir tun? Ein Vorschlag!
Aufgrund meiner durchgeführten Maßnahmen kann relativ verlässlich angenommen werden, dass die Rebhühner in Stapelholm aktuell ausgestorben sind. Das ist im Prinzip ein Skandal im Hinblick auf Lebensraumvernichtung. Ein Gegenbeispiel ist der Otter. Er war vor 40 Jahren aus Stapelholm verschwunden, wurde mindestens 35 Jahre nicht wahrgenommen und ist heute wider Erwarten überall an den Flüssen und Schloten zu finden. Dieses schöne Beispiel macht Hoffnung und sollte als Ansporn dienen, mithilfe der professionellen Akteure das Rebhuhn wieder zu etablieren.
Bergenhusen ist seit langem Sitz eines Kompetenzzentrums für Naturschutz. Dieses besteht aus dem MOIN, der Integrierten Naturschutz-Station und dem Verein KUNO e.V. und könnte zunächst im ETS-Gebiet durch geschicktes Management von Stiftungsflächen in Zusammenarbeit mit Landwirten das Rebhuhn wieder in die Landschaft zurückholen. Dieses Modell könnte dann Ausstrahlungs-wirkung auf ganz Schleswig-Holstein haben. Ob es gelingt, hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt vom öffentlichen Interesse an dem winterharten Standvogel und von den finanziellen Ressourcen. Da die Rebhühner als typische Laufvögel nur ungern Strecken über 10 bis 20 km fliegend zurücklegen, ist zunächst eine Vergrößerung der marginalen Restbestände notwendig, damit dieser Pool dann ver-mehrt wachsen und sich verbreiten kann. In der Nähe von Göttingen hat Dr. Eckard Gottschalk von der Universität Göttingen schon seit vielen Jahren Erfahrungen mit der Vergrößerung ausgedünnter Rebhuhn-Bestände gesammelt; hierzu nachfolgend einige Details.
Rebhuhn-Fortpflanzung
Rebhühner finden sich Ende Februar bis Anfang März zu Paaren zusammen, brüten aber erst im Juni. Der Schlupf der 16 bis 17 Küken erfolgt im Juli, eine Mahd darf erst (wenn überhaupt) im späten August erfolgen. Beide Partner ziehen die Küken gemeinsam groß und in der ersten Phase ernähren sich die kleinen Küken ausschließlich von eiweißreichen Kleintieren, die von den Altvögeln vorgehalten werden oder die sie selbstständig als Nestflüchter aufpicken. Hier beginnen schon die Schwierigkeiten: Der moderne Acker ist heute eine hochproduktive Produktionsfläche und kein Biotop voller Insekten, Spinnen und sonstiger Kerbtiere. Deshalb sind die Rebhühner wegen der desolaten Jungenaufzucht nicht mehr da. Genauso wie die Wiesenvögel sind die Rebhuhn-Küken vom ersten Schlupftag an mobil und streifen mit den Altvögeln durch ihr Brutrevier, bis sie mit 6 Wochen flügge sind. Anfangs sind die Küken wechselwarm und deshalb wärmebedürftig. In heutigen Getreide-schlägen oder Wiesen mit dem typischen, dichten Pflanzenbestand verklammen die Küken bei Regenwetter und gehen ein. Rüben- und Kartoffelfelder waren früher also überlebenswichtig für die Küken, deren Überlebenschance auf den nackten Böden unter der schützenden Pflanzendecke deutlich besser ist.
Rebhühner sind gesellige Vögel und bleiben als Volk bis zum Frühjahr zusammen. Die Führung des Nachwuchses durch erfahrene Alttiere ist im Winter von existentieller Notwendigkeit.
Wie funktioniert Rebhuhn-Schutz im Göttinger Umland?
Zunächst experimentierte Dr. Gottschalk mit Blühstreifen und es stellte sich heraus, dass diese insektenfördernden Bereiche eine Mindestbreite von 20 m haben müssen. Fuchs und Marderhund haben dann weniger Chancen, ein Gelege und Gesperre (d.h. Henne plus Küken) zu finden. Breitere Blühstreifen verbessern die Überlebenschance der Vögel und werden deshalb empfohlen. Optimal ist ein ganzer Hektar für ein Volk; er reicht als Lebensraum aus. Auch hier ist ein jährlicher Rhythmus beim Umbruch der Streifen durchzuführen, damit unter der Neueinsaat der benötigte nackte Boden inklusive Deckung nach oben vorgehalten wird und daneben der vorjährige Streifen mit viel toter Pflanzenstruktur als Brutraum bestehen bleibt. Diese notwendige Bearbeitung ist geeigneter als eine ausschließliche Stilllegung von Flächen, die durchaus hilfreich wäre, aber eben nur zweite Wahl ist. Die Saat für die Blühstreifen besteht aus 18 verschiedenen Pflanzen und ist im Laufe der Forschungsarbeit durch die Gruppe um Dr. Eckard Gottschalk optimiert worden. Zusätzlich können noch für die Optik Mohn, Kornblume und andere attraktive Ackerblumen beigemischt werden.
Ausblick
Bis jetzt hat das Rebhuhn in der ETS-Region keine Lobby, aber es besteht die Chance, in den nächsten Jahren in einer gemeinsamen Anstrengung vieler Akteure das Rebhuhn wieder in die Region zu holen. Die Stiftung Naturschutz, unsere Landwirte, Naturschützer, Jäger und weitere Interessierte sollten aktiv an der Revitalisierung der Rebhühner arbeiten.