Hans-G. Dierks
Sie fliegen mit den Fingern und „sehen“ mit den Ohren, ihr kleines Herz schlägt bis zu 800 mal pro Minute und sie machen einen ausgiebigen Winterschlaf. Säugetiere vergleichbarer Größe, z.B. Spitzmäuse, erreichen nur einen Bruchteil des Lebensalters von Fledermäusen und es ist schon verblüffend, wenn die hier in Rede stehende 8 g leichte Zwergfledermaus bis zu 10 Jahre alt wird und der 40 g schwere Große Abendsegler quasi biblische 30 Jahre erreichen kann. In Deutschland kommen etwa 25 Fledermausarten vor, in Schleswig-Holstein kann man 15 Spezies erleben, wenn man nur an den richtigen Stellen lange genug sucht. Im kleinen Stapelholm sind bislang acht verschiedene Fledermausarten ermittelt worden, es ist aber denkbar, dass weitere Vertreter aus der Familie der Insektenfresser bislang nicht detektiert wurden.
Es stellte sich mir schon vor Jahren die Frage, wie viele Zwergfledermäuse in den Dörfern der ETS-Region leben. Diese Pipistrellus-Art ist eine typische Dorffledermaus, die in den Häusern am Tage kopfunter in engen Spalten ruht und zur Winterzeit in den Häusern frostfreie, feuchte Stellen aufsucht, damit sie nicht erfriert und die zarten Flughäute nicht austrocknen. Die „Zwerge“ hängen nirgends frei im Gebälk (wie z.B. das einheimische Braune Langohr) und deswegen sind die Zwergfledermäuse für eine Zählung auf Sicht nicht zugänglich. Wozu aber überhaupt eine Zählung, reicht es nicht, wenn sie in der Abenddämmerung erscheinen? Der Mensch ist neugierig und in Zeiten von Klimawandel und Insektensterben, ökologischer Verödung ganzer Landschaften und Veränderung der Nutzungsformen in der Landwirtschaft liegt die Vermutung nahe, dass auch die robuste Zwergfledermaus Probleme bekommen kann (wie z.B. das einst überall verbreitete Rebhuhn, das leider zu 95% aus der Feldflur verschwunden ist). Die Roten Listen sprechen bezüglich der Fledermäuse in der BRD eine eindeutig negative Sprache. Aber zurück zur direkten Anschauung: man sitzt in lauen Sommerabenden auf der Terrasse und plötzlich erscheinen lautlos (obwohl sie im Ultraschallbereich mit Presslufthammer-Lautstärke rufen) die kleinen Mückenjäger in der einbrechenden Dämmerung. Nach kurzer Zeit ist der Spuk wieder vorbei und die Zählung ergab vielleicht 5 Tiere. Sie fliegen hungrig zur nächsten windstillen, baumumstandenen Ecke voller Mücken und das Spiel geht von neuem los, bis sie satt sind und eine Verdauungspause einlegen und abhängen. Laut Literatur verzehren die kleinen Zwerge bis zu 4000 Mücken pro Nacht. Die Anzahl der im Dorf lebenden Tiere ist so nicht sicher zu ermitteln. Besser ist es schon, wenn man meistens per Zufall ab Mitte Juni eine sogenannte Wochenstube entdeckt, aus der abends die Weibchen in großer Zahl in der Dämmerung ausfliegen, bis sie mit vollem Magen zurückkehren, um die hungrigen Jungtiere zu säugen. Zwergfledermäuse ziehen ein Jungtier pro Jahr auf, in Süderstapel wurden schon mehrfach in den letzten Jahren Wochenstuben der Zwergfledermaus gefunden, die 70-100 erwachsene Tiere beherbergten. Da die Zwergfledermäuse im Geschlechterverhältnis 1:1 auftreten, kann man die Zahl der zugehörigen Männchen leicht ermitteln, es ist aber fast unmöglich alle Wochenstuben in ganz Stapelholm zu finden. Wenn man aktiv danach sucht, hat man nur ein Zeitfenster von 30 Minuten, um die vor dem Quartier auffällig in der Morgendämmerung bis 30 Minuten vor Sonnenaufgang schwärmenden Weibchen zu entdecken und damit die Wochenstube zu lokalisieren. Ich verwende deshalb eine andere Methode, die sich in erster Näherung die Zählung und Kartierung der männlichen Tiere bei der Balz nutzbar macht, analog zur Kartierung von Vogelbrutrevieren, die auf der Erkennung und Zuordnung von spezifischem Reviergesang beruht. Rund vier Wochen ruft das knapp daumengroße, balzende Zwergfledermausmännchen ausdauernd und sehr spezifisch in den frühen Morgenstunden bis kurz vor Sonnenaufgang ab Mitte August. Die Rufe ertönen entweder aus dem Balzquartier (Haus, Baumhöhle, Nistkasten) oder aus der Luft in einem Kreis von rund 75 m Radius um das Balzquartier, wobei ebenfalls die typischen, monotonen Ultraschallrufe mit 21 kHz ausgestoßen werden. Die Jagdrufe liegen bei 45 kHz, hören sich völlig anders an und deshalb ist die Erkennung der Balzrufe ein Kinderspiel. Die Zählung per Balz-Methode ist bei Fledermausfreunden nicht sehr beliebt, denn man muss dazu früh (3:30 Uhr!) aus den Federn, damit die Kartierung der Balzreviere so vollständig wie möglich gelingt. Da die Rufe der Fledermäuse generell im hochfrequenten Bereich liegen, benötigt man Detektoren, die den Ultraschall umwandeln und dann hörbar machen.
Ich verwende den Detektor der Marke SSF-BAT2, weil er sehr gut in der Hand liegt und man mit dem Daumen den Lautsprecher dimmen kann, wenn es zu laut und damit nervig wird.
Den Detektor SSF-BAT3 verwende ich bei der Aufnahme von Sonogrammen und in Kombination mit dem Smartphone. Mit den Sonogrammen werden die Ultraschallrufe im SSF-BAT3 visualisiert und man kann gleichzeitig bei den Kurzvideos den Ton hören. Auf der Website des Förderverein Landschaft Stapelholm sind die Balzrufe von Zwergfledermaus u.a. per Kurzvideo optisch und akustisch abrufbar. Stirnlampe und Fahrrad sowie ein GPS-Tracker sind weitere Hilfsmittel, die für die Arbeit unabdingbar sind.
Im Prinzip steige ich also in den frühen Morgenstunden ab 3:30 Uhr aufs Rad und fahre in der unheimlichen Stille der Nacht los. Den eingeschalteten Detektor SSF-BAT2 (auf Filterfrequenz 21 kHz eingestellt) halte ich in der Hand und der ebenfalls eingeschaltete GPS-Tracker liegt im Fahrradkorb; so vorbereitet radle ich die Straßen systematisch ab (ohne Grundstücke zu betreten) und horche auf die Töne, die der Detektor von sich gibt. Die Heuschrecken an manchen Knicks oder Gärten im Dorf sind auch im Detektor hervorragend zu hören; diese Geräusche können sich störend auswirken. Andererseits sind sie auch Ausdruck der Anwesenheit von Grauer Strauchschrecke und Grünem Heupferd und damit ein wichtiger Nachweis dieser Großinsekten im Ort, die man als älterer Mensch normalerweise nicht mehr hört, aber auf diese Weise mit dem Detektor nachweist. Wenn bei der Fahrt durchs Dorf ein Balzrevier tangiert wird, hört man aus bis zu 50 m Entfernung die balztypischen Geräusche, die nicht besonders melodisch klingen. Aber immerhin signalisieren sie die Anwesenheit einer männlichen Zwergfledermaus und künden von seiner Absicht, Weibchen zwecks Begattung ins Versteck zu locken. Auf der Website des Förderverein Landschaft Stapelholm sind die Balzrufe von Zwerg, – Rauhaut- und Mückenfledermaus zu hören, die sich leicht am unterschiedlich schnellen Rhythmus unterscheiden lassen. In Kirchtürmen oder Reetdachhäusern konnte das monotone Rufen nach Weibchen bislang nicht festgestellt werden. Obwohl schon 2018 von mir 30 Kirchtürme diesbezüglich untersucht wurden und generell alle Kirchengebäude gerne von Zwergfledermäusen als Tages- oder Winterschlafquartier genutzt werden, wenn es um die Balz geht, sind sie fast immer aus den freistehenden Holzglockentürmen (so denn vorhanden) zu hören. Ist also ein Balzquartier akustisch ausgemacht, halte ich an, drücke an dem GPS-Tracker zwei Tasten und der Standort ist als blaues Fähnchen auf der digitalen Karte des Ortes im Gerät markiert. Bei der Flugbalz wird ein Kreis von etwa 150 m Durchmesser vom Männchen abgeflogen und es ist deutlich im Detektor zu hören, wenn es sich permanent rufend entfernt oder wieder zurückkommt. Verblüffend ist die Ortstreue der kleinen Gesellen. Über Jahre hinweg werden die mir mittlerweile bekannten Örtlichkeiten in der Balzzeit besetzt oder beflogen und ich gehe davon aus, dass es sich um dieselben Individuen handelt. Während der 4-wöchigen Balzsaison sind die Reviere frühmorgens von denselben Individuen besetzt, nachdem sie sich vorher sattgefressen haben. Nach etwa z.B. 10 km im Ort gescannter Strecke ist spätestens 30 Minuten vor Sonnenaufgang die „Feldarbeit“ beendet, der GPS-Tracker kann per PC ausgelesen werden und das Ergebnis der nächtlichen Arbeit liegt vor. Alle Ergebnisse der kartierten Stapelholmer Orte sind im Anhang einsehbar. An regnerischen Tagen sind die Zwergfledermäuse inaktiv und da die verwendeten Detektoren feuchtigkeitsempfindliche Mikrofone haben, verbieten sich die nächtlichen Exkursionen von selbst.
Sind alle Balzreviere ermittelt (hier 322), so werden sie mit dem Faktor 2,5 multipliziert und ich erhalte einen Näherungswert für die gesamte Population. (322 Männchen plus 322 Weibchen plus 161 Jungtiere). Der Faktor 2,5 wurde gewählt, weil für Männchen und Weibchen das Verhältnis 1:1 besteht und für die Anzahl der ab Ende Juli ausfliegenden Jungtiere die Hälfe der Weibchen als relativ zutreffend angenommen werden kann. Es können mehr sein oder auch weniger, die Jungenzahl ist nicht genau zu ermitteln. Für Stapelholm inklusive Schwabstedt ist für das Jahr 2021 nach meiner 4 Wochen umfassenden Kartierung mit einer Population von 800 bis 850 Zwergfledermäusen zu rechnen, von denen ich nicht ein einziges Tier bei der Erfassung gesehen habe! Genauso wie die untersuchten Zwergfledermäuse von ihrer Umwelt und Beute in der Nacht nichts mit ihren winzigen Augen sehen, sondern sie nur akustisch wahrnehmen.