Text: Dr. Susanne Weiß, Fotos: David Resch
Bäume machen Schmutz, werfen Schatten und stehen immer an der falschen Stelle. Schnell wachsen sie uns über den Kopf. Sie lassen Laub und Äste, Samen, Früchte und Zapfen fallen. Sie können krank werden, sie können sterben. Ich aber liebe sie alle.
Ich liebe meine Birke, einen stattlichen Baum, sicher doppelt so hoch wie das Haus. Was wäre der Frühling ohne ihr zartes Grün, das schon zu sprießen beginnt, wenn die meisten anderen Bäumen noch in der Winterruhe schlummern? Blaumeisen nisten hier, im hölzernen Kasten mit dem kleinen Loch, und im Frühling sieht man sie häufig munter kopfüber, kopfunter an den hängenden Birkenweigen schaukeln. Ab und zu schaut das Eichhörnchen vorbei. Senkrecht den Stamm hinauf klettert es in die ausladende Baumkrone, huscht dann flink den längsten Ast entlang bis zum Ende, springt, ja fliegt fast hinüber zur Kiefer, die sich ihm schon entgegenstreckt, um im dichten Grün des nadligen Innern zu verschwinden. Kiefer und Birke stehen in idealem Abstand zueinander: ideal für Wäscheleine und Hängematte, je nach Tageszeit und Wochentag. Liege ich dort im Schatten, kann ich manchmal ganz oben die Buchfinken rufen, die Grünfinken zwitschern hören – oder einen der vielen Vögel, deren Sprache ich leider nicht verstehe.
Ich liebe auch meine Erle. Sie, eine Schwarzerle, ist riesig, und bis zur Spitze ist sie mit Efeu bewachsen, wie ein Baum im Baum, dunkel und undurchschaubar, dicht belaubt selbst im Winter. Wie viele Vögel hier wohnen und brüten, das kann man nur ahnen. Amseln und Spatzen sind jedenfalls immer dabei. Man hört sie, hört ihr Geschwätz und Geplapper, hört ihr Rascheln im dichten Laub, und natürlich sieht man sie auch hin und wieder, wenn sie aus ihrer grünen Höhle hervorflattern, um, meist in Scharen, über das nahe gelegene Futterhäuschen herzufallen oder auf der Wiese nach Würmern zu picken. Im Herbst, wenn der Efeu blüht und die Bienen, Wespen und Schwebfliegen hier Nahrung finden, dann ist es, als summte der Baum. Und wenn im Frühjahr die Früchte reifen, finden sich neben Amsel, Drossel, Fink und Star Rotkehlchen und Gartenrotschwanz unter lebhaftem Zwitschern und Flattern zum Festschmaus ein.
Ebenso liebe ich meine Weide, eine stattliche Silberweide, mit ihrem hohlen Stamm und der herzförmigen Krone. Wahrscheinlich ist sie schon einmal abgebrochen oder hat einen wichtigen Ast verloren, und vor Jahren rückte man ihr mit der Motorsäge zu Leibe und kürzte sie drastisch ein; längst jedoch hat sie sich wieder zu neuer Pracht zurechtgewachsen. Ihr Laub ist weder einfach grün, noch wirklich silbern. Doch im August, wenn die Farben der Landschaft dunkler und trockener und selbst in der goldenen Spätsommersonne irgendwie flach anmuten, zaubert sie mit ihren schlanken, flirrenden Blättern ein metallisches Glitzern vor ihr eigenes Dunkel. Sitzt man auf der Bank zu ihren Füßen, kann man über die Badestelle auf die Eider und in die Ferne, nach Dithmarschen und Richtung Westerkoog blicken. Nicht die Sitzbank aus Metall macht den Ort zu einem wohltuenden Ort, sondern der Baum. Er sorgt für Schatten an heißen Sommertagen, und wenn der Wind weht, rascheln und rauschen die Blätter leise. Weiden, Pappeln, Eschen, Eichen, Erlen und all das andere Grün machen unsere Badestelle zum Lieblingsplatz – und nicht die Geräte und Bauten, Lotuseffekt und Graffiti, Stromverteilerkästen, Hinweisschilder und Straßenlaternen.
Sie alle – meine Birke, meine Erle und meine Weide – nenne ich „meine“ Bäume, obwohl sie mir nicht gehören. Die Schwarzerle wächst im Nachbargarten, die Silberweide am Eiderstrand steht auf öffentlichem Grund (und gehört damit uns allen). Doch selbst die Birke in meinem eigenen Garten mag ich kaum als mein Eigentum betrachten, dieses beeindruckende Gewächs mit den zahllosen Wesen, die in, an und von ihm leben, dieses Biotop, dieses Stück Natur! Schließlich gehöre auch ich – ob es mir passt oder nicht – zu den Geschöpfen, die ohne Bäume nicht existieren könnten. Sicherlich wird zumindest der eine oder andere „meiner“ Bäume – obwohl sie alle schon alt waren, als ich sie kennenlernte – mich um Jahre, Jahrzehnte überleben. Zutrauen würde ich es ihnen – und vor allem wünsche ich es ihnen von Herzen. Ich wünsche ihnen ein langes Leben und einen sanften, vor allem einen natürlichen Tod. Denn Bäume sind wie Eltern, wie Freunde, wie Nachbarn: Ohne sie geht es einfach nicht – auch wenn sie manchmal nerven.